Die diplomatischen Vorbereitungen für die Umsiedlung

In den Besprechungen mit der Volksgruppenführung Mitte Mai 1941 hatte das Stabshauptamt die Modalitäten der Umsiedlung erörtert. Von Ende Mai bis Mitte Juni 1941 wurde die für die Gottscheeumsiedlung wichtige RKFDV-Dienststelle Marburg reorganisiert. Damit hatte das Stabshauptamt die Fäden fest in der Hand, die von Berlin zur Gottscheer Volksgruppenführung, zur RKFDV-Dienststelle Marburg, zur Gauleitung in Graz und zu den zuständigen Dienststellen des Auswärtigen Amtes in Berlin und Laibach (Deutsches Konsulat) liefen.

Das Ziel der Vorbereitungsarbeiten wurde in einem Schreiben des Stabshauptamtes an den Gauleiter umrissen:

"Im Interesse einer ordnungsmäßigen Bewirtschaftung scheint mir der September . . . der richtige Termin für die Umsiedlung zu sein. Ich würde es begrüßen, wenn Sie bis zu diesem Zeitpunkt die Vorbereitungen für die Ansiedlung abgeschlossen haben könnten und würde dann versuchen, bei den Verhandlungen mit den Italienern den September und Oktober als Zeitpunkt für die Umsiedlung festzulegen." (1)

Der Abschluß eines Umsiedlungsvertrages mit Italien und Ansiedlungsvorbereitungen in der Südsteiermark, d. h. besonders die Aussiedlung der Slowenen, bildeten demnach das Fernziel der RKFDV-Zentrale.


1. Die Spannungen zwischen Italienern und Gottscheern

Zunächst hatte sich jedoch das Stabshauptamt mit den Sorgen und Beschwerden der Gottscheer zu beschäftigen; einmal mußte deren schlechte Ernährungslage verbessert und zum andern - wegen der von der Volksgruppenführung durchzuführenden "Vorerfassung" - für sie eine Sonderstellung im Rahmen der italienschen Souveränität erreicht werden (2).

Während jedoch das Versorgungsproblem in den nächsten Wochen einigermaßen zufriedenstellend gelöst werden konnte, brachen wegen der Frage einer Sonderstellung der Gottscheer zwischen Deutschen und Italienern Gegensätze auf, die man nur schwer überbrücken konnte, da deren Ursachen nicht zu beseitigen waren.

Das Hauptproblem lag in der unterschiedlichen Einstellung der Gottscheer und Italiener zu den zwischensiedelnden Slowenen. Als die Gottscheer während der Aprilkämpfe die Macht in der Gottschee an sich gerissen hatten, verhafteten sie führende slowenische Verwaltungsbeamte, Polizisten und Richter. Nach dem Einmarsch hatten die Italiener die Slowenen sofort freigelassen und sie wieder in Ämter und Würden eingesetzt. Dadurch wurden die bereits früher vorhandenen Spannungen zwischen nationalistischen Slowenen und den ebenso eingestellten Gottscheern noch verschärft,
zumal die Volksgruppenführung sich teilweise so gebärdete, als wäre sie bereits im Deutschen Reich.

Darüber hinaus entstand durch die anfangs verschiedenartige Behandlung der Slowenen in den von Deutschen und Italienern jeweils annektierten Gebieten Sloweniens zusätzlicher Konfliktstoff; Gesandter KASCHE hatte bereits am 30. Mai 41 von Agram nach Berlin über diese Frage berichtet:

"Italiener genießen Vertrauen ... Italien beweise, daß es nationale Eigenständigkeit kleiner Nationen anerkenne, Deutschland dagegen, daß es rücksichtslos entnationalisiere, wenn sich Gelegenheit biete. Italien nützt Spannung zwischen Slowenen und Volksdeutschen, bevorzugt Slowenen. Volks- und Reichsdeutsche sind enttäuscht und verletzen durch Verhalten und im Gespräch oft Achsendisziplin." (3)

Der RKFDV-Sachbearbeiter konstatierte eben diese Lage und forderte das Auswärtige Amt auf, die Italiener zu veranlassen, der deutschfeindlichen Bewegung und Propaganda der Slowenen entgegenzutreten; denn "Greuelnachrichten über abgehackte Kinderhände und vergewaltigte Frauen in den an das Reich angegliederten Gebieten (4) sowie Gerüchte über den Eintritt Rußlands in den Krieg und einen dadurch bevorstehenden Endsieg Englands werden geglaubt und verbreitet." (5)

Dadurch werde die "Eindeutschung der völkischen Zwischenschicht" in Untersteiermark und Oberkrain beträchtlich erschwert.

Diese politischen Diskrepanzen, die in der 1941 verschiedenen Volkstumspolitik der beiden "Achsenpartner" wurzelten, waren so offenkundig, daß sie auch nicht durch ständige Deklamationen über die unerschütterliche Freundschaft der Achsenpartner überbrückt werden konnten.

Die Italiener gingen in der Behandlung der Umsiedlungsfrage sogar noch einen Schritt weiter: offensichtlich bemühten sich italienische Stellen im Frühsommer 1941, Gottscheer von der Umsiedlung abzuhalten. Zur Beeinflussung der Volksdeutschen sollte sogar eine deutsch-italienische Zeitung gegründet werden. Dr. STIER wies das Auswärtige Amt darauf hin, daß diese Haltung der Italiener durchaus als "unfreundlicher Akt" zu betrachten und als solcher der italienischen Regierung darzulegen sei.

Vor diesem Hintergrund der deutsch-italienischen Beziehungen erschien die Forderung nach einer Sonderstellung der Gottscheer noch vor Abschluß des Umsiedlungsvertrages äußerst fragwürdig. Hinzu kam noch, daß die Italiener bereits bei der noch laufenden Südtirolumsiedlung schlechte Erfahrungen mit Sonderregelungen gemacht
hatten; denn diese hatten dort dazu geführt, daß die Volksdeutschen praktisch einen Staat im Staate gebildet hatten (6).

Angesichts dieser Situation bewies Dr. STIER in seiner Argumentation erstaunlich wenig Einfühlungsvermögen:

"Sollte die italienische Regierung Schwierigkeiten bereiten, so kann darauf hingewiesen werden, daß die Gottscheer Volksgruppe sich aktiv an dem Feldzug in Südslawien beteiligt und das Gottscheer Land den Italienern bereits in befriedetem Zustand übergeben hat." (7)

In Anbetracht der italienischen Empfindlichkeit auf militärischem Gebiet - besonders seit dem Griechenlandfiasko - mußte ein solches Argument bei der Verfechtung Gottscheer Sonderinteressen auf italienischem Hoheitsgebiet den Widerstand der italienischen Regierung versteifen.

In der Folgezeit hörten dann doch die Einmischungen der Italiener in die Vorbereitungsarbeiten der Volksgruppenführung auf. Stillschweigend hatte man sich arrangiert.

Das war aber nur möglich geworden, weil das Stabshauptamt die Gottscheer in ihrem Auftreten gegenüber Italienern und Slowenen zügelte. Von Berlin aus bedeutete man den Hitzköpfen der Volksdeutschen Führung: wenn der Italienische Hohe Kommissar die Wünsche der deutschen Volksgruppe - Genehmigung von Aufmärschen, Kundgebungen sowie weitgehende Einsicht in die Kataster - teilweise ignoriere oder gar verbiete, dann müsse das für eine Übergangszeit bis zum Abschluß des Umsiedlungsvertrages hingenommen werden. Ein leiser Tadel an die Adresse der Volksgruppenführung klingt bei Dr. STIERS Beurteilung der Lage in der Gottschee an. Er gab den Gottscheern ein gewisses Maß an Mitschuld bei der Entstehung der Spannungen, obwohl er auch für die Haltung der Gottscheer Verständnis aufbrachte:

"Die Volksgruppenführung muß darauf achten, daß sie - im verständlichen Bemühen, ihre Volksgruppe zu sichern - nicht an die italienischen Behörden überspitzte Forderungen stellt." (8)

Die zwischen italienischen Dienststellen und Gottscheern entstandenen Spannungen veranlaßten das Stabshauptamt im Juni, nun auf einen raschen Abschluß des Umsiedlungsvertrages hinzuarbeiten.

Das erwies sich als schwierig, weil noch am 18. Juni 1941 über die Grundlinien des Entwurfs eines solchen Vertrages Unklarheit herrschte, bedingt durch die umfangreichen Umsiedlungspläne auf dem Balkan (9). Erst am 18. Juni 41 gab das Stabshauptamt dem Auswärtigen Amt die Direktive, den Entwurf im Sinne einer einseitigen Umsiedlung der Gottscheer auszuarbeiten (10); ursprünglich war geplant, einen Bevölkerungsaustausch zwischen Gottscheern und Slowenen vorzunehmen.

Ende Juli 1941 begannen sodann die Verhandlungen in Rom; zur gleichen Zeit wurde deshalb der Volksgruppenführung noch einmal eingeschärft, besonders während
der Verhandlungen tunlichst Reibereien in der Gottschee zu vermeiden (11). Diese Aufforderung an die jungen Radikalen in der Gottschee war um so notwendiger, als gerade in der Woche vom 17. Juli bis 24. Juli 1941 das "Führerschulungslager" (12) in der Stadt Gottschee stattfand, das die Volksgruppenführung unter anderem auch als Demonstration der Stärke und Geschlossenheit gegenüber Italienern und Slowenen verstanden wissen wollte. Daher mußten das Stabshauptamt und die Dienststellen des Auswärtigen Amtes im Sommer 1941 ständig darum bemüht sein, die bei Italienern und Gottscheern bestehenden Ressentiments unter Kontrolle zu halten, damit die Atmosphäre nicht allzu sehr erhitzt wurde.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

1  Brief Dr. STIERS vom 20. 5. 1941 an den Gauleiter, Betr.: Umsiedlung Gottschee; Handakte Dr. Stier.

2
 Vermerk Dr. STIERS vom 17. 6. 41, Betr.: Lage der Gottscheer Volksgruppe; Handakte Dr. Stier.

3  
Telegramm des Gesandten KASCHE vom 30. Mai 1941 nach Berlin; PA, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Kroatien, Bd. 1, 161915 f.

4
 "25. April 1941 ... Er [PAWELITSCH] verlangt einige Tage Bedenkzeit, dann werden wir uns von neuem sehen. Ich sehe den Ex-Ban von Slowenien. Ich kenne ihn noch aus der Zeit von STOJADINOWITSCH. Er ist bedrückt wegen des Schicksals jenes Teils von Slowenien, der unter den Deutschen geblieben ist. Der Kommissar GRAZIOLI [Höchster italienischer Beamter der späteren italienischen Provinz Laibach] sagt mir, daß in der Tat die Behandlung der Bevölkerung von selten der Deutschen schlimmer als grausam ist. Plünderungen, Raubzüge, Erschießungen kommen täglich vor. Die Kirchen und die Klöster sind ausgeplündert und geschlossen."
CIANO, Tagebücher 1939-1943, Bern 19472, S. 314.


5
 Bericht Dr. STIERS vom 19. 6. 1941 an das Auswärtige Amt; Handakte Dr. Stier.

6
 vgl. C. F. LATOUR, a.a.O. S. 84 f.

7
 Bericht Dr. STIERS vom 19. 6. 1941 an das Auswärtige Amt; Handakte Dr Stier.

8  
ebda.

9
 vgl. dazu u. S. 48 ff.

10  
Vermerk des SS-Oberführers CREUTZ vom 23. 6. 1941; BA R 49/967.

11
 Brief Dr. STIERS vom 16. 7. 41 an den Volksgruppenführer SCHOBER über Konsulat Laibach; Handakte Dr. Stier: ". .. Ich bitte Sie, während dieser Zeit darauf zu achten, daß die Verhandlungen nicht durch Zwischenfälle in der Gottschee beeinträchtigt werden."
Brief Dr. STIERS vom 26. 7. 41 an das Auswärtige Amt, Betr.: "Umsiedlung Gottschee"; Handakte Dr. Stier.


12
 s. u. S. 70 ff.

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