3. Die Beurteilung der Gottscheer durch die Ansiedlungsstellen

DOLEZALEK hatte in seiner Anlage zum Generalsiedlungsplan vorsorglich mahnend darauf hingewiesen, daß die Gottscheer trotz gewisser negativer Eigenschaften eine rassebiologisch und volkspolitisch gesunde Volksgruppe seien. Von dieser grundlegenden Beurteilung müsse der Ansiedlungsstab ausgehen, nicht jedoch von den "Greuelmärchen", die es - wie über andere Volksgruppen - auch über die Gottscheer gebe (41).

Die dem Leiter des Ansiedlungsstabes Südmark im Januar 1942 zugestellten Berichte der drei Kreissiedlungsstäbe (42) über die Ansiedlung der Gottscheer bewiesen, daß DOLEZALEKS Warnung nicht ohne Grund ausgesprochen worden war.

Allen gemeinsam war die Kritik über die mangelhafte Organisation beim Transport der Gottscheer, die dazu geführt hatte, daß Züge auf dem falschen Bahnhof oder mit stundenlangen Abweichungen von den vorher gemeldeten Ankunftszeiten angekommen waren. Massive Kritik traf auch die DAG, deren mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei dem Abtransport der Gottscheer von den Bahnhöfen gerügt wurde. Der entscheidende Punkt war jedoch die Beurteilung der Gottscheer; darin trat offen eine Diskrepanz zwischen den Darstellungen der drei Leiter der Kreissiedlungsstäbe zutage. Während der eine in einer detaillierten Berichterstattung zunächst den Gottscheern ein gutes Zeugnis ausstellte, kam er in dem abschließenden Kapitel "Allgemeine Beurteilung der Gottscheer Volksgruppe" zu einem völlig konträren Urteil: "Die Menschen haben kein besonders ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, jeder sucht seinen Vorteil, die meisten Männer sind arbeitsunlustig. Dies erklärt sich daraus, daß das ursprünglich gesunde Bauernvolk durch das ihm erteilte Hausierprivileg immer mehr angefressen wurde." (43)

Der letzte Satz offenbart den Grund für die inkonsequente Darstellung: das den Gottscheern anhaftende Klischee über die Folgen des Hausierens veranlaßte den Verfasser zu solchem Verdikt; auch seine These: "Dementsprechend sind diese Menschen als Grenzbewohner, als Wehrbauern, wie wir sie uns vorstellen, wenig geeignet", zielte in die gleiche Richtung und war ähnlich zu werten.

Dagegen betonte der Kreissiedlungsführer von Lichtenwald in seiner Beurteilung der Gottscheer unter der Überschrift "Volksgemeinschaftssinn" ausdrücklich: "Im Gegensatz zu der von den anderen Kreissiedlungsstäben gemeldeten Haltung der Gottscheer kann . .., mit einigen Ausnahmen, keine Klage geführt werden." Er bemerkte als negativ nur, daß es bei den Gottscheern an der entsprechenden Führung fehle.

Entscheidend für die Urteilsbildung über die Gottscheer in der RKFDV-Dienststelle Marburg und beim Gauleiter schien jedoch der Bericht des Kreissiedlungsstabsleiters Rann (44) gewesen zu sein, einmal, weil in diesem Bereich fast die Hälfte der Gottscheer angesiedelt, zum andern, weil er bereits am 31. Dezember 1941 angefertigt wurde und daher Anfang Januar 1942 bei der Dienststelle in Marburg und beim Gauleiter bekannt war, also etwa 14 Tage vor LAMPETERS Absetzung. Darin wurde über die Gottscheer hinsichtlich des "Volksgemeinschaftssinns" ein vernichtendes Urteil gefällt, das belegt wurde mit umfangreichem Material. Der Leiter des Kreissiedlungsstabes Rann faßte seinen Eindruck kurz zusammen: "Im allgemeinen ist ein Verständnis für Volksgemeinschaft überhaupt nicht vorhanden." (45)

Er betrachtet darüber hinaus als besonders gefährlich die Absicht der Gottscheer Volksgruppenführung, ihre alte Geschlossenheit zu wahren und dadurch im Ansiedlungsgebiet politisch mitzubestimmen. "[Ich] mußte ... feststellen, daß die Gottscheer gar nicht daran denken, ihre Volksgruppe im Reiche aufzulösen, sondern im Gegenteil dieselbe noch ausbauen und enger zusammenschließen wollen. Aus Äußerungen des LAMPETER konnte ich entnehmen, daß er als künftiger Kreisführer die Arbeiten der Kreisführung durchwegs von Gottscheern auszuführen gedenkt, sowie auch verhindern will, daß die Angehörigen der Volksgruppenführung Gottschee anderswo angesiedelt werden."

Diese Intentionen widersprachen allerdings auch der Anordnung des RKFDV-Stabsleiter in Marburg, die Volksgruppe "nach Tunlichkeit möglichst aufzulockern" (46).

Den Hintergrund dieser Berichte bildete die Ideologie des Ansiedlungsstabes Südmark, in dessen Informationsunterlagen es hieß: "Die Voraussetzung für eine aktive Grenzpolitik ist: Grenzbewußtsein - Sendungsbewußtsein - Distanz. Daß die Gottscheer dieses Grenzbewußtsein sich durch langjährigen Kampf in der Fremde erworben haben, glauben wir. Den Gottscheer Deutschen ist vom Reichsführer SS für langes
Ausharren in fremdem Raum die hohe Auszeichnung zuteil geworden Grenzwall zu sein." (47)

Das war ein hochgestecktes Ziel, mit dem die Gottscheer in der "Grenzsiedlungszone" der Südsteiermark erwartet wurden. Neben den aktuellen Schwierigkeiten der Um- und Ansiedlung, die natürlich Anlaß zu mancherlei Reibereien zwischen Gottscheern und Ansiedlungsbehörden waren, ist darin die eigentliche Wurzel des gegenseitigen Mißverstehens und der gegenseitigen Beschuldigungen zu sehen; denn offensichtlich konnte die Mehrheit der Gottscheer Bevölkerung den hohen abstrakten Ansprüchen der Ansiedlungsstrategen nicht gerecht werden. Das mußte diese um so mehr überraschen, als die Gottscheer bisher von allen mit der Umsiedlung betrauten Dienststellen nur höchstes Lob gezollt bekommen hatten - als eine in vielhundertjährigem Volkstumskampf erfahrene und bewährte Volksgruppe. Da der Volksgruppenführung während der Ansiedlung die unmittelbare Führung der Volksgruppe aus den Händen glitt, konnten sich nun natürlich Symptome des bereits von der EWZ festgestellten Erzübels der Gottscheer - "die wirtschaftlich-liberale Einstellung" - auswirken.

Angesichts der teilweise chaotischen Verhältnisse im Ansiedlungsgebiet und der den einfachen Gottscheern unklaren Besitz- und Eigentumsverhältnisse, die viele Gottscheer zur Selbsthilfe verführten, konnten die Ansiedlungsbehörden relativ leicht zu einem negativen Pauschalurteil gelangen, das sie in Kenntnis des Klischees über die bisherige Einstellung der Volksgruppe sogar scheinbar historisch untermauern konnten. Mit dem Vorwurf des mangelnden "Volksgemeinschaftssinns" war ein Patentrezept gefunden, um eigene Organisationsmängel zu verbergen und alle Mißstände den Gottscheern anzulasten; dazu waren die Ansiedlungsbehörden um so eher in der Lage, als sie nach der Absetzung LAMPETERS keinen ernsthaften Widerstand seitens der Gottscheer mehr zu befürchten brauchten.

Den Eklat um LAMPETER hatte der Leiter des "Ahnenerbe", SS-Obersturmbannführer SIEVERS, bereits Ende Oktober vorausgeahnt, als er vorschlug, nach der Umsiedlung der jungen Mannschaftsführung gleichsam als Mentor einen "erfahrenen und geschickten SS-Führer" beizugeben, "der sie klug zu lenken versteht, um zu vermeiden, daß sie im Ansturm der Einzelorganisation ... sich nicht mehr zurechtfindet" (48). Ein solcher SS-Führer aber fehlte den Gottscheern in der entscheidenden Ansiedlungsphase. Wenn dazu noch - wie im Ranner Dreieck bei der Ankunft der Gottscheer -schwerwiegende Mängel hinsichtlich der Koordination zwischen den RKFDV-Dienststellen kamen, dann mußten die jungen Volksdeutschen Nationalsozialisten infolge fehlender Führung fast zwangsläufig zwischen den Mühlsteinen der miteinander konkurrierenden Ansiedlungsstellen zerrieben werden, zumal deren Arbeitseifer gar nicht in dem Maße auf eine sorgfältige Ansiedlung der Gottscheer gerichtet war, das man von ihnen erwarten mußte.

"Jede der Dienststellen handelt in dem Gefühl, in kurzer Zeit hinsichtlich ihres engsten Aufgabenkreises Fertigmeldungen zu erstatten und längst woanders zu sein, wenn die Auswirkung einer etwa unzulänglichen Tätigkeit zutage tritt. Vor allen anderen Dienststellen der Verwaltung . . . liegen diese Mängel und das Gegeneinander
arbeiten so zutage, daß sie als Folge einen geradezu ungeheuerlichen Prestigeverlust aller Dienststellen des Reichskommissars zur Folge hatten und auch die begründeten Interessen des Festigungsgedankens aus diesem Grunde entwertet sind und nicht mehr ernst genommen werden, insbesondere deshalb, weil bis in die äußersten Verästelungen und gerade dort das Fehlen einer rechtzeitigen Vorbereitung und einer Planung am empfindlichsten fühlbar ist." (49)

Diese äußerst scharfen Formulierungen des SD-Chefs in der Untersteiermark bestätigten einen Monat nach LAMPETERS Absetzung dessen Darstellungen in nuce. Für LAMPETER mußte das um so bitterer sein, als sich leider zu spät eine mächtige SS-Institution seiner Kritik anschloß (50).

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

www.gottschee.de



Inhaltsverzeichnis





Anmerkungen :

41  
s. o. S. 106.

42
 Bericht des Kreissiedlungsstabes Rann von SA-Sturmführer STIGER, 31. 12. 41; Bericht des Kreissiedlungsstabes Gurkfeld von SS-Untersturmführer BUSSE, 24. 1. 42; Bericht des Kreisansiedlungsstabes Lichtenwald von SS-Untersturmführer MEYER, nicht datiert (nach dem 19. 1. 1942); alle drei Berichte im Besitz des Verf.

42
 Bericht d. Kreissiedlungsstabes Gurkfeld, a.a.O.

44
 Auch der deutsche Gesandte in Zagreb, KASCHE, scheint seine Informationen in erster Linie aus dieser Quelle zu haben. Schreiben KASCHES vom 13. Januar 1942 an das Auswärtige Amt, Berlin; PA Inland II D, Umsiedlg, betr. Laibach, Bd. 3 1942-1944: "... [ich] habe ... aus sicherer Quelle Nachricht erhalten, daß die politischen Verwaltungsstellen in Rann sich bereits jetzt ganz klar darüber sind, daß die eingesiedelten Gottscheer ein viel schlechteres Menschenmaterial sind als die ausgesiedelte slowenische Bevölkerung . .. Gegen zahlreiche Gottscheer habe man bereits staatspolizeilich vorgehen und sie in Haft nehmen müssen."

45
 Der Verdacht eines den Ranner Ansiedlungsstellen gemeinsamen Vorurteils drängt sich auf, wenn man die Berichte von zwei Arbeitsstabsführern, die STIGER zitiert, vergleicht: "Der schlechte Eindruck überwiegt; zum mindesten treffen obige Angaben auf 50% der Gottscheer zu" und "Gesamteindruck bei 50% der Umsiedler schlecht". Bericht des Kreissiedlungsstabes Rann, a.a.O. Zur Charakterisierung STIGERS s. Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, KALTENBRUNNER, vom 1. 3. 1944, an SS-Obersturmbannführer Dr. BRANDT, persönlicher Stab Reichsführer-SS; BA NS 19/119. STIGER wurde 1943 wegen Veruntreuung mehrerer hunderttausend Reichsmark und des Verdachtes weiterer Straftaten zusammen mit dem Leiter der Hauptabteilung Wirtschaft der RKFDV-Dienststelle Marburg und weiteren zwei führenden Persönlichkeiten der Untersteiermark verhaftet. In KALTENBRUNNERS Bericht darüber an HIMMLER wird das Ausmaß der Korruptionserscheinungen deutlich: "Da freundschaftliche Beziehungen zwischen Marburger Dienststelle und zuständigem SS- und Polizeigericht XXIII in Salzburg festgestellt, auf meine Veranlassung Einschaltung des Hauptamtes SS-Gericht .. . Gauleiter UIBERREITHER laufend unterrichtet, er versuchte Schwierigkeiten zu machen."

46
 Bericht des Kreissiedlungsstabes Rann, a.a.O.

47
 "Das Deutschtum in der Gottschee" Informationsunterlagen des Ansiedlungsstabes Südmark" (undatiert); NAW roll 306 frame 2433987.

48
 Brief SIEVERS vom 29. 10. 41 an Dr. SCHEEL, Führer des SS-Oberabschnittes Alpenland; BA Slg. Schumacher 343.

49
 Bericht des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD in der Untersteiermark, LURKNER, vom 17. 2. 1942 an SS-Brigadeführer HINTZE, S. 5 (Abschrift); im Besitz des Verf.

50
 zur gleichen Zeit: Lagebericht LAMPETERS vom 17. 2. 42 für den SD; BA NS 21/160.

www.gottschee.de



Inhaltsverzeichnis