4. Lampeters Rückblick und Dr. Stiers Apologie

LAMPETER fühlte sich seit Mitte Januar arbeitslos, was seinem Temperament gar nicht entsprach (51). In dieser Zeit der erzwungenen Muße gab er sich nun Rechenschaft über seine bisherige Arbeit in der Gottscheer Volksgruppe. Er legte ausführlich die Entwicklung der Gottscheer seit 1930 dar, wobei er besonders seine Rolle beleuchtete und die Verdienste der von den jungen Nationalsozialisten ins Leben gerufenen "Mannschaft" bei der Planung und der teilweise gelungenen Realisierung des "Aufbauplanes" sowie beim Zusammenbruch Jugoslawiens betonte. Sein Rückblick auf "Die Entwicklung der Dinge bei der Umsiedlung der Gottscheer Deutschen" erbrachte für ihn das Resultat, daß der Mißerfolg bei der Ansiedlung auf keinen Fall bei ihm zu suchen sei. Er strich heraus, erst auf sein Drängen sei es im Oktober 1941 zu einer Besprechung zwischen dem Stabsleiter der RKFDV-Stelle LAFORCE, dem DUB Dr. WOLLERT, dem Ansiedlungsstab und der Volksgruppenführung gekommen, weil er vorher festgestellt habe, daß es keine Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Um- und Ansiedlungsstellen gegeben und auch innerhalb der RKFDV-Stelle keine einheitliche Auffassung bestanden habe. Seine Anregungen - z. B. ein Merkblatt für die Umsiedler bei der Ankunft und Vorschläge für Kurse - habe man aber nicht aufgegriffen. Die völlige Desorganisation bei der Ankunft, die auch der Planungschef des Ansiedlungsstabes, DOLEZALEK, bestätigt habe, sei dann der Grund für seine Beschwerde an HIMMLER gewesen, die zu seiner Absetzung geführt habe.

Besonders ausführlich und intensiv stellte LAMPETER "Die letzte Entwicklung" dar. Die Ansiedlungsstellen hätten den Gottscheern erklärt, die Volksgruppenführung und etwa zehn Sturmführer (von 25) seien abgesetzt worden, um die Umsiedler nach reichsdeutschen Grundsätzen zu führen. Als Führer des wichtigsten Sturmes habe man einen Mann eingesetzt, der in der Gottschee als Slowene gegolten habe, zwei andere,
neueingesetzte Sturmführer seien in der Gottschee als abseitsstehende "Kritikaster" bekannt gewesen.

Das habe die Gottscheer in innere Zweifel gestürzt; denn jedermann habe wahrnehmen müssen "Die größten Idealisten, die Prediger Deutschlands und des Nationalsozialismus, werden im Reich abgesägt, und an ihre Stelle kommen Männer, die früher die ärgsten Gegner der organisierten Volksgruppe waren. ... die Reaktionäre R. G. und Dr. A. erfreuen sich der besonderen Gunst des Ansiedlungsstabes". (52)

Außerdem sei bei den Gottscheern infolge psychologisch ungeschickter Behandlung das Gefühl entstanden, "daß sie als Eindringlinge gekommen und nicht vom Führer gerufen wären"; denn die Fragen der Steirer im Ansiedlungsstab liefen darauf hinaus, daß die Umsiedlung gar nicht nötig gewesen sei und nur auf Drängen der Volksgruppenführung habe geschehen müssen (53). Die Volksgruppenführung aber habe drei Möglichkeiten gehabt: "1. Autonomie unter Italien; 2. Anschluß der Gottschee an Kroatien bei Sicherung derselben Rechte wie für die übrigen Volksdeutschen in diesem Staate; 3. Umsiedlung in das Reich." Mit solchen konstruierten Gerüchten habe man das Vertrauen zur einstigen Volksgruppenführung natürlich zunächst zerstören können, zumal dazu noch die Meinung immer wieder geäußert wurde, gute Deutsche könne man auch im Ausland gebrauchen (54).

Eines kreidete LAMPETER dem Ansiedlungsstab besonders an: "Im allgemeinen wird über die Volksgruppe nur abfällig gesprochen. Es wäre geradezu die Aufgabe des Ansiedlungsstabes gewesen, ein richtiges Bild von den Gottscheer Deutschen erstehen zu lassen und nicht, wie er es tat, den sachlichen Erlebnisbericht über die Durchschleusung im Sonderzug der EWZ am Erscheinen in der Tagespresse zu verhindern." (55)

Er deckte damit Methoden auf, die schon fast auf eine grundsätzliche Haltung der Steirer zu den Gottscheer Volksdeutschen schließen lassen: den Gottscheern wird das Hausierertum als Quelle eines grundsätzlichen Charaktermangels, der alles Übel erklärt, angerechnet; der EWZ-Bericht wird nicht publiziert, weil er das Bild der Steirer vom Gottscheer nicht bestätigt. Abschließend gelangte LAMPETER zu dem Resultat: "Heute muß festgestellt werden, daß die Gottscheer deutsche Volksgruppe nach einigen Wochen reichsdeutschen Daseins um ihre ganze Haltung gebracht wurde, die ihr 600-jähriges Aushalten mitten unter den Slowenen bedingte. Alles, was vom Ansiedlungsstab vorbildlich ausgeführt wurde, war die totale Zerschlagung einer in der Geschichte des Volksdeutschtums sicher seltenen Organisation und Vernichtung des so wertvollen mitgebrachten Gutes: Des Idealismus, der Einsatzbereitschaft und der Opferfreudigkeit. Und dies stellt eine Belastung des Glaubens an Deutschland dar."

Hier erweist sich LAMPETER als der alte Kämpfer, der mit bitterem Sarkasmus die Unfähigkeit des Ansiedlungsstabes geißelt. Die Schlußformel beweist LAMPETERS Mut, vor allem, wenn man die Machtverhältnisse in der Steiermark in Betracht zieht;
gleichzeitig schwingt darin aber auch Resignation mit (56), die sich bei seiner retrospektiven Darstellung für LAMPETER wie von selbst einstellen mußte.

Am Falle LAMPETER entzündete sich zwischen Oberführer HINTZE und Dr. STIER eine Kontroverse, in deren Verlauf Dr. STIER schwere grundsätzliche Bedenken gegen eine zu scharfe Bestrafung LAMPETERS vorbrachte.

Auf den Bericht HINTZES vom 19. Januar 1942 antwortete Dr. STIER bereits am 26. Januar 1942 in einem langen Schreiben, das zusammen mit einem beigefügten Vermerk über die bisherige "Tätigkeit der Gottscheer Volksgruppenführung" einer Apologie für die jungen Gottscheer Nationalsozialisten gleichkam. Im wesentlichen ging es Dr. STIER darum, für LAMPETERS Verhalten zwar Disziplinlosigkeit zuzugeben, diese aber auf dem Hintergrunde seiner geleisteten Arbeit und seines Schicksals zu relativieren, wobei der Sachbearbeiter des Stabshauptamtes besonders betont, "wie sich bei objektiver Betrachtung die Tätigkeit dieser jungen Leute (57) bis zu den letzten, zweifellos nicht sehr schönen Ereignissen darstellt." (58)

Zunächst skizziert Dr. STIER eine Kurzbiographie LAMPETERS: "Schon als Schüler des slowenischen Gymnasiums in der Stadt Gottschee trat er durch völkische Beteiligung führend hervor. Dies brachte ihm die Entlassung vom Gymnasium, so daß er das Abitur mit Unterstützung des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland nachholen mußte. 1937 trat er in die landwirtschaftliche Hochschule in Hohenheim/Württemberg ein. Während seines Studiums, das er 1939 beendete, war ihm die Zusammenfassung der in Württemberg zur Ausbildung befindlichen Gottscheer Jungbauern anvertraut ..."

Nach diesem Appell an HINTZES Verständnis für Probleme junger, nationalsozialistischer Auslandsdeutschen hebt Dr. STIER LAMPETERS Verdienste beim Zusammenbruch Jugoslawiens hervor (59). "Die Gottscheer rechneten damals noch mit der Einbeziehung ihres Siedlungsgebietes in das Deutsche Reich. Es zeugt von völkischer Disziplin, daß LAMPETER .. . der Aufforderung deutscher Offiziere zur Loyalität gegenüber den italienischen Truppen bedingungslos nachgekommen ist."

Dr. STIER unterstreicht auch die wichtige Rolle der Mannschaftsführung unter LAMPETER während der Umsiedlungsvorbereitungen, ohne die eine geordnete Aussiedlung aus der Gottschee nicht hätte stattfinden können. In seiner Schlußbeurteilung setzt er klar die positiven Akzente: "Als Gesamteindruck mußte ich damals feststellen, daß die Mannschaftsführung sich mit großer Energie für die Erhaltung des Deutschtums und einer nationalsozialistischen Gesinnung eingesetzt hat, aber - vielleicht bedingt durch eine Überschätzung der eigenen Leistung - in manchen Fällen etwas zu schroff vorgegangen war und sich ungern in geordnete Befehlsverhältnisse einfügte." (60)

Als ein Beispiel für LAMPETERS Fähigkeiten führt Dr. STIER an: "daß Lampeter schon vor Jahren von der damaligen Arbeitsstelle Gottschee beim Volksbund für das Deutschtum zum künftigen Führer der Gottscheer Volksgruppe vorgesehen und vorgebildet wurde." Man habe zwar schon damals "eine gewisse Unausgeglichenheit des Temperaments . .. eine für die verantwortliche Stelle manchmal unangenehme Eigenwilligkeit und Selbständigkeit" feststellen müssen, doch habe man diesen Eigenschaften mit Geduld und energischem Auftreten begegnen können.
Hier klingt also bereits leise Kritik an den Führungsmethoden der Ansiedlungsdienststellen und indirekt auch gegenüber HINTZE an. Dieser Ton verstärkt sich noch, wenn Dr. STIER zu bedenken gibt, "daß die Grenzaufgabe der Gottscheer kaum im Sinne des Reichsführers-SS durchgeführt werden kann, wenn man die Volksgruppe ihrer aktivsten Kräfte für lange Zeit beraubt".

Zwar formuliert Dr. STIER vorsichtig, doch sein Hinweis auf die von HIMMMLER den Gottscheern gestellte Aufgabe, deren Erfüllung durch LAMPETERS Absetzung vielleicht gefährdet werde, dürfte HINTZE unangenehm berührt haben.

Ein weiteres wichtiges Glied in der Argumentation Dr. STIERS ist die Auswirkung einer Absetzung LAMPETERS auf die Gottscheer Volksgruppe, zumal in der augenblicklichen kritischen Lage. "Die Gottscheer Volksgruppe . . . befindet sich ohnedies in einer Krise, die zweifellos nicht dadurch behoben wird, daß man ihre jungen Führer endgültig beseitigt, nachdem sie im Einsatz für ihre Volksgruppe gegenüber reichsdeutschen Stellen zu weit gegangen sind."

Dr. STIER stellt seine Warnung in den großen Zusammenhang seiner überschauenden Tätigkeit, indem er auf die bisher bei allen Umsiedlungen gesammelten Erfahrungen mit Volksgruppenführungen hinweist: "Wir haben bei allen hereingenommenen Volksgruppen die Erfahrung gemacht, daß die Volksgruppenführung, in der Illegalität großgeworden, sich zunächst schwer in die geordneten und disziplinierten Verhältnisse des Reiches hineinfindet. ... Da diese Volksgruppenführer infolge ihrer anfänglichen Schwierigkeiten mit unseren Dienststellen meistens in der SA untergekommen sind, hat man bereits der SS vielfach vorgeworfen, daß diese nicht das nötige Verständnis für die Volksgruppenfragen hat."

Damit hatte nun Dr. STIER sein stärkstes Geschütz aufgefahren; denn seit Juni 1941 richtete man im Stabshauptamt intensiv sein Augenmerk darauf, die volksdeuschen Führer für die SS zu gewinnen. SS-Gruppenführer GOTTLOB BERGER, Chef des SS-Hauptamtes und HIMMLERS Intimus, hatte am 13.Juni 1941 heftige Kritik am bisherigen Verhältnis der SS zu den Volksdeutschen geübt und Erfolge der SA warnend hervorgehoben. "Die SA hat es verstanden, eine Reihe von tadellosen Männern für sich zu gewinnen. ... Ich möchte in unserem ureigensten Interesse bitten, daß Sie den jungen Männern, die sich seit Jahren zur Staffel bekannt haben, auch eine Aufgabe geben. Sonst verlieren wir jeglichen Einfluß. ... Es spricht sich schon überall bei den Volksdeutschen des Südostens herum, daß die SA ein besonderes Verständnis für die Volksdeutschen habe und daß die SS ,versage'." (61)

Der Chef des Stabshauptamtes GREIFELT hatte damals nach Vortrag bei HIMMLER
sofort alle im Rahmen der RKFDV-Tätigkeit arbeitenden Dienststellen angewiesen, sich intensiv um die jungen Volksdeutschen Führer zu bemühen.

HINTZE mußte sich durch Dr. STIERS Wink mit dem Zaunpfahl, man werfe der SS vor, daß es ihr im Gegensatz zur SA an Verständnis für die Volksdeutschen mangele, getroffen fühlen.

Angesichts der Konkurrenz zwischen SS und SA hatte GREIFELTS Anweisung in der SS um so größeres Gewicht, als BERGER das Bemühen um die Volksdeutschen "in unserem ureigensten Interesse" forderte, was wiederum quasi einem SS-internen Befehl gleichkam. Wenn darüber hinaus BERGER gerade die Deutschen des Südostens - zu denen ja die Gottscheer zählten - als Beispiel für ein Versagen der SS anführte, dann mußte Dr. STIERS Schlußargument bei der Interpretation des "Falles LAMPETER" gegenüber HINTZE eine außerordentliche Durchschlagskraft besitzen.
Deshalb endete die Auseinandersetzung um die Absetzung der gesamten Volksgruppenführung, die ursprünglich vom Gauleiter und von HINTZE beabsichtigt war, schließlich mit einem Kompromiß: LAMPETER wurde zwar abgesetzt; die anderen Angehörigen der Volksgruppenführung aber nicht.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

51  
Brief LAMPETERS vom 22. 2. 42 an Prof. SCHWALM, (Abschrift); BA Slg. Schumacher 343 "Weil ich nichts zu tun habe, bin ich oft unnötig unterwegs." Dazu als Anlage in Abschrift: 1. Gedächtnisschrift von LAMPETER vom    9. 2. 42; BA NS 21/160. 2. Die Gottscheer Volksgruppe von 1930-1942, undatiert (aus Korrespondenz zu erschließen: zur selben Zeit) (Abschrift); BA Slg. Schumacher 343; 3. Lagebericht vom 17. 2. 42; s. Anm. 50.

52
 Bericht des Kommandeurs der Sipo und des SD in d. Untersteiermark, LURKNER, vom 17. 2. 42 an HINTZE, a.a.O.

53
 s. o. S. 55 ff.

54
 Dabei stand diese Ansicht in völligem Gegensatz zu den Grundsätzen des RKFDV-Programms.

55
 Bericht des Kommandeurs der Sipo und des SD in d. Untersteiermark, LURKNER, vom 17. 2. 42 an HINTZE, a.a.O.

56
 vgl. Gedächtnisschrift LAMPETERS a.a.O.: "Alle möglichen Mißgriffe, die nicht von der Volksgruppenführung der Gottscheer Deutschen gemacht wurden, führten zum skandalösen Zustand im Ansiedlungsgebiet, so daß sich heute die negativen und minderwertigen Kräfte wohl fühlen und die tüchtigen Kerle das Gefühl haben, daß hier für sie der Platz nicht sei und ins Altreich abwandern."

57
 In der Auseinandersetzung geht es noch um zwei weitere Angehörige der Volksgruppenführung, um den Jugendführer R. LACKNER und um den Stabsleiter für die Wirtschaft M. STURM.

58
 Schreiben Dr. STIERS vom 26. 1. 1942 an HINTZE; Handakte Dr. Stier.

59
 s. o. S. 23.

60
 Vermerk von Dr. STIER vom 24. 1. 1942 über die "Tätigkeit der Gottscheer Volksgruppenführung"; Handakte Dr. Stier.

61
 Anlage zum Schreiben des Stabshauptamtes vom 23. 6. 1941, Betr.: Einbau von Volksdeutschen Führern in die praktische Arbeit an diejenigen höheren SS-Führer, die als Beauftragte des RKFDV fungieren -; Handakte Dr. Stier.


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